Maylied
Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Alles liebet! Liebe gleitet
Durch die blühende Natur,
Liebe zeuget Blumen, breitet
Manchen Teppich auf die Flur.
Das verliebte Haingefieder,
Das sich neue Zellen baut,
Tönet süße Liebeslieder,
Wenn der May vom Himmel thaut.
Liebe malt jezt hellre Rosen
Um den Mund der Schäferin,
Schäferin und Schäfer kosen
Manche goldne Stunde hin.
Sizen unter Apfelblüthen,
Arm in Arm, und Paar an Paar,
Kleine Liebesgötter bieten
Nektar ihren Lippen dar.
Unschuld blickt aus ihren Minen,
Unschuld ihres Standes Loos,
Rothe Blüthen taumeln ihnen
Aus dem Wipfel in den Schoos.
Blau und golden schwebt der Aether
Im bebüschten Gartenteich,
Alle Blüthen werden röther,
Werden Edens Blüthen gleich.
Durch die Blumen, durch die grünen
Kräuter, die der Sonnenschein
Übergoldet, summen Bienen,
Sammeln süßen Nektar ein.
Alles hauchet Scherz und Freude,
Wo des Frühlings Odem bläst,
Die Natur, im Blumenkleide,
Feirt ein allgemeines Fest.
Alles küßt jetzt! Küße flüstern
In beschatteten Alleen,
Wo die Liebenden in düstern
Buchenlabyrinthen gehn.
Küße rauschen in den Lauben,
Um die Abenddämmerung,
Küße geben, Küße rauben
Ist der Welt Beschäftigung.
|