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Typologien der Ballade
Typologie ist die Lehre vom Typischen, der Grund- oder Urform, von exemplarischen Mustern.
Innerhalb der Balladenforschung hat man sich permanent um eine Typologisierung der Balladen bemüht. Dabei war die Typologisierung von KÄMPCHEN richtungsweisend, der die Ballade in die heldische (oder Ideen-), die numinose und psychologische Problemballade unterteilte.
Numinose Ballade:
der Begriff "numinos" stammt aus der Religionspsychologie und beschreibt das gleichermaßen bedrohlich-ängstigende und verführerisch-lockende Merkmal des irrational Gefühlsbetonten. Zur numinosen Ballade zählt die:
naturmagische Ballade
totenmagische Ballade
Schicksalsballade
Heldenballaden:
heldische Balladen haben den Sieg der sittlichen, moralischen, ethischen Vorstellungen des Helden, der als Synonym für die Menschen im Allgemeinen gilt, zum Inhalt.
Problemballaden:
Problemballaden thematisieren die diffusen Phänomene des Seelenlebens.
Grundsätzlich sind Kunst- und Volksballaden zu unterscheiden.
Die Volksballade
Die Volksballade ist die ältere der beiden und stellt eine anonyme, oft gesungene Ballade dar. Die Verfasser sind zum Großteil nicht bekannt, die Texte mündlich überliefert. Gegen Ende des 18. Jh. erst begann man damit, die Texte zu sammeln und zu archivieren. Die überwiegend vierzeiligen Strophen dieser Balladenform sind meist episch und mit einem Endreim ausgestattet, Paar- oder Kreuzreime. Der Satzbau ist einfach. Die größte Ausprägung hatten Volksballaden in Deutschland zwischen 1250-1450 und zwischen 1770-1850. Inhalt waren meist Sagen, Legenden, Heldenlieder oder -epen in denen die Protagonisten vor einer entscheidenden Begegnung standen. Eine besondere Form der Volksballade sind die Minnesängerballaden. Ab dem 16. Jahrhundert entstanden die Zeilungslieder, gereimte Gedichte über das Zeitgeschehen, die von Zeitungssängern vorgetragen und verkauft wurden.
Beispiel für eine Volksballade, mündliche Überlieferung aus "Des Knaben Wunderhorn":
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Der Rattenfönger von Hameln
Wer ist der bunte Mann im Bilde?
Er führet Böses wohl im Schilde,
Fr pfeift so wild und so bedacht;
Ich haft mein Kind ihm nicht gebracht!
In Hameln fochten Mäus und Ratzen
Bei hellem Tage mit den Katzen,
Es war viel Not; der Rat bedacht,
Wie andre Kunst zuweggebracht.
Da fand sich ein der Wundermann,
Mit bunten Kleidern angetan,
Pfiff Ratz und Maus zusamm ohne Zahl,
Ersäuft sie in der Weser all.
Der Rat will ihm dafür nicht geben,
Was ihm ward zugesagt soeben;
Sie meinten, das ging gar zu leicht
Und war wohl gar ein Teufelsstreich.
Wie hart er auch den Rat besprochen,
Sie dräuten seinem bösen Pochen,
Er konnt zuletzt vor der Gemein
Nur auf dem Dorfe sicher sein.
Die Stadt, von solcher Not befreiet,
Im großen Dankfest sich ertreuet,
Im Betstuhl saßen alle Leut,
Es läuten alle Glocken weit.
Die Kinder spielten in den Gassen,
Der Wundermann durchzog die Straßen,
Er kam und pfiff zusamm geschwind
Wohl auf ein hundert schöne Kind.
Der Hirt sie sah zur Weser gehen,
Und keiner hat sie je gesehen,
Verloren sind sie an dem Tag
Zu ihrer Eltern Weh und Klag.
Im Strome schweben Irnicht nieder,
Die Kindlein frischen drin die Glieder,
Dann pfeifet er sie wieder ein,
Für seine Kunst bezahlt zu sein.
Ihr Leute, wenn ihr Gift wollt legen,
So hütet doch die Kinder gegen,
Das Gift ist selbst der Teufel wohl,
Der uns die lieben Kindlein stohl.
Die Kunstballade
Die Kunstballade entstand um 1770 und wurde initiiert durch englisch-schottische Geisterballden. Die Unterscheidung zur Volksballade wird am Autor festgemacht. Während Volksballaden aus dem Volk stammen, sind Kunstballaden von einem einzelnen, bekannten Autor verfaßt. Die formale Struktur der Kunstballaden ist vor allem durch Vielfalt geprägt, sie kann sowohl eine ähnlich einfache Struktur wie die der Volksballade aufweisen, als auch kunstvoll aufgebaut sein. Die Balladen Goethes, Schillers, Meyers, etc. sind also Kunstballaden. Hier wird abermals typologisiert. So zählt Schiller zu den Verfassern von Ideenballaden und Uhland zu denen der historischen Ballade.
Im Verlauf des 19. und zu Beginn des 20. Jh. erfuhr die Kunstballade eine romantische Prägung und verlor ihren düsteren Charakter. Die Inhalte waren nun eher geheimnisvoll, unheimlich und abenteuerlich. Vertreter dieser Form waren z.B. Mörike, Droste-Hülshoff und Fontane.
Im 20. Jahrhundert prägte sich abermals eine neue Form, die Ballade wurde politisch und hatte satirische, groteske oder ironische Züge. Vertreter dieser Form sind z.B. Tucholsky, Ringelnatz oder Biermann.
Eine der ersten Kunstballaden stammt von Gottfried August Bürger und hat eine Sage zum Inhalt.
Lenore
Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen:
»Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen?« -
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht,
Und hatte nicht geschrieben:
Ob er gesund geblieben.
Der König und die Kaiserin,
Des langen Haders müde,
Erweichten ihren harten Sinn,
Und machten endlich Friede;
Und jedes Heer, mit Sing und Sang,
Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
Geschmückt mit grünen Reisern,
Zog heim zu seinen Häusern.
Und überall all überall,
Auf Wegen und auf Stegen,
Zog alt und jung dem Jubelschall
Der Kommenden entgegen.
Gottlob! rief Kind und Gattin laut,
Willkommen! manche frohe Braut.
Ach! aber für Lenoren
War Gruß und Kuß verloren.
Sie frug den Zug wohl auf und ab,
Und frug nach allen Namen;
Doch keiner war, der Kundschaft gab,
Von allen, so da kamen.
Als nun das Heer vorüber war,
Zerraufte sie ihr Rabenhaar,
Und warf sich hin zur Erde,
Mit wütiger Gebärde.
Die Mutter lief wohl hin zu ihr: -
»Ach, daß sich Gott erbarme!
Du trautes Kind, was ist mit dir?« -
Und schloß sie in die Arme. -
»O Mutter, Mutter! hin ist hin!
Nun fahre Welt und alles hin!
Bei Gott ist kein Erbarmen.
O weh, o weh mir Armen!« -
»Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an!
Kind, bet ein Vaterunser!
Was Gott tut, das ist wohlgetan.
Gott, Gott erbarmt sich unser!« -
»O Mutter, Mutter! Eitler Wahn!
Gott hat an mir nicht wohlgetan!
Was half, was half mein Beten?
Nun ist's nicht mehr vonnöten.« -
»Hilf Gott, hilf! wer den Vater kennt,
Der weiß, er hilft den Kindern.
Das hochgelobte Sakrament
Wird deinen Jammer lindern.« -
»O Mutter, Mutter! was mich brennt,
Das lindert mir kein Sakrament!
Kein Sakrament mag Leben
Den Toten wiedergeben.« -
»Hör, Kind! wie, wenn der falsche Mann,
Im fernen Ungerlande,
Sich seines Glaubens abgetan,
Zum neuen Ehebande?
Laß fahren, Kind, sein Herz dahin!
Er hat es nimmermehr Gewinn!
Wann Seel und Leib sich trennen,
Wird ihn sein Meineid brennen.« -
»O Mutter, Mutter! Hin ist hin!
Verloren ist verloren!
Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!
O wär ich nie geboren!
Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!
Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!
Bei Gott ist kein Erbarmen.
O weh, o weh mir Armen!« -
»Hilf Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht
Mit deinem armen Kinde!
Sie weiß nicht, was die Zunge spricht.
Behalt ihr nicht die Sünde!
Ach, Kind, vergiß dein irdisch Leid,
Und denk an Gott und Seligkeit!
So wird doch deiner Seelen
Der Bräutigam nicht fehlen.« -
»O Mutter! Was ist Seligkeit?
O Mutter! Was ist Hölle?
Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,
Und ohne Wilhelm Hölle! -
Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!
Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!
Ohn ihn mag ich auf Erden,
Mag dort nicht selig werden.« - - -
So wütete Verzweifelung
Ihr in Gehirn und Adern.
Sie fuhr mit Gottes Vorsehung
Vermessen fort zu hadern;
Zerschlug den Busen, und zerrang
Die Hand, bis Sonnenuntergang,
Bis auf am Himmelsbogen
Die goldnen Sterne zogen.
Und außen, horch! ging's trapp trapp trapp,
Als wie von Rosseshufen;
Und klirrend stieg ein Reiter ab,
An des Geländers Stufen;
Und horch! und horch! den Pfortenring
Ganz lose, leise, klinglingling!
Dann kamen durch die Pforte
Vernehmlich diese Worte:
»Holla, Holla! Tu auf mein Kind!
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist noch gegen mich gesinnt?
Und weinest oder lachst du?« -
»Ach, Wilhelm, du? - - So spät bei Nacht? - -
Geweinet hab ich und gewacht;
Ach, großes Leid erlitten!
Wo kommst du hergeritten?« -
»Wir satteln nur um Mitternacht.
Weit ritt ich her von Böhmen.
Ich habe spät mich aufgemacht,
Und will dich mit mir nehmen.« -
»Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!
Den Hagedorn durchsaust der Wind,
Herein, in meinen Armen,
Herzliebster, zu erwarmen!« -
»Laß sausen durch den Hagedorn,
Laß sausen, Kind, laß sausen!
Der Rappe scharrt; es klirrt der Sporn.
Ich darf allhier nicht hausen.
Komm, schürze, spring und schwinge dich
Auf meinen Rappen hinter mich!
Muß heut noch hundert Meilen
Mit dir ins Brautbett eilen.« -
»Ach! wolltest hundert Meilen noch
Mich heut ins Brautbett tragen?
Und horch! es brummt die Glocke noch,
Die elf schon angeschlagen.« -
»Sieh hin, sieh her! der Mond scheint hell.
Wir und die Toten reiten schnell.
Ich bringe dich, zur Wette,
Noch heut ins Hochzeitbette.« -
»Sag an, wo ist dein Kämmerlein?
Wo? Wie dein Hochzeitbettchen?« -
»Weit, weit von hier! - - Still, kühl und klein! - -
Sechs Bretter und zwei Brettchen!« -
»Hat's Raum für mich?« - »Für dich und mich!
Komm, schürze, spring und schwinge dich!
Die Hochzeitgäste hoffen;
Die Kammer steht uns offen.« -
Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang
Sich auf das Roß behende;
Wohl um den trauten Reiter schlang
Sie ihre Liljenhände;
Und hurre hurre, hopp hopp hopp!
Ging's fort in sausendem Galopp,
Daß Roß und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Zur rechten und zur linken Hand,
Vorbei vor ihren Blicken,
Wie flogen Anger, Heid und Land!
Wie donnerten die Brücken! -
»Graut Liebchen auch? - - Der Mond scheint hell!
Hurra! die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Toten?« -
»Ach nein! - - Doch laß die Toten! -
Was klang dort für Gesang und Klang?
Was flatterten die Raben? - -
Horch Glockenklang! horch Totensang:
»Laßt uns den Leib begraben!«
Und näher zog ein Leichenzug,
Der Sarg und Totenbahre trug.
Das Lied war zu vergleichen
Dem Unkenruf in Teichen.
»Nach Mitternacht begrabt den Leib,
Mit Klang und Sang und Klage!
Jetzt führ ich heim mein junges Weib.
Mit, mit zum Brautgelage!
Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor,
Und gurgle mir das Brautlied vor!
Komm, Pfaff, und sprich den Segen,
Eh wir zu Bett uns legen!« -
Still, Klang und Sang. - - Die Bahre schwand. - -
Gehorsam seinem Rufen,
Kam's, hurre hurre! nachgerannt,
Hart hinter's Rappen Hufen.
Und immer weiter, hopp hopp hopp!
Ging's fort in sausendem Galopp,
Daß Roß und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Wie flogen rechts, wie flogen links,
Gebirge, Bäum und Hecken!
Wie flogen links, und rechts, und links
Die Dörfer, Städt und Flecken! -
»Graut Liebchen auch? - - Der Mond scheint hell!
Hurra! die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Toten?« -
»Ach! Laß sie ruhn, die Toten!« -
Sieh da! sieh da! Am Hochgericht
Tanzt' um des Rades Spindel
Halb sichtbarlich bei Mondenlicht,
Ein luftiges Gesindel. -
»Sasa! Gesindel, hier! Komm hier!
Gesindel, komm und folge mir!
Tanz uns den Hochzeitreigen,
Wann wir zu Bette steigen!« -
Und das Gesindel husch husch husch!
Kam hinten nachgeprasselt,
Wie Wirbelwind am Haselbusch
Durch dürre Blätter rasselt.
Und weiter, weiter, hopp hopp hopp!
Ging's fort in sausendem Galopp,
Daß Roß und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Wie flog, was rund der Mond beschien,
Wie flog es in die Ferne!
Wie flogen oben über hin
Der Himmel und die Sterne! -
»Graut Liebchen auch? - - Der Mond scheint hell!
Hurra! die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Toten?« -
»O weh! Laß ruhn die Toten!« - - -
»Rapp'! Rapp'! Mich dünkt der Hahn schon ruft. - -
Bald wird der Sand verrinnen - -
Rapp'! Rapp'! Ich wittre Morgenluft - -
Rapp'! Tummle dich von hinnen! -
Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!
Das Hochzeitbette tut sich auf!
Die Toten reiten schnelle!
Wir sind, wir sind zur Stelle.« - - -
Rasch auf ein eisern Gittertor
Ging's mit verhängtem Zügel.
Mit schwanker Gert' ein Schlag davor
Zersprengte Schloß und Riegel.
Die Flügel flogen klirrend auf,
Und über Gräber ging der Lauf.
Es blinkten Leichensteine
Rundum im Mondenscheine.
Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick,
Huhu! ein gräßlich Wunder!
Des Reiters Koller, Stück für Stück,
Fiel ab, wie mürber Zunder.
Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf,
Zum nackten Schädel ward sein Kopf;
Sein Körper zum Gerippe,
Mit Stundenglas und Hippe.
Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp',
Und sprühte Feuerfunken;
Und hui! war's unter ihr hinab
Verschwunden und versunken.
Geheul! Geheul aus hoher Luft,
Gewinsel kam aus tiefer Gruft.
Lenorens Herz, mit Beben,
Rang zwischen Tod und Leben.
Nun tanzten wohl bei Mondenglanz,
Rundum herum im Kreise,
Die Geister einen Kettentanz,
Und heulten diese Weise:
»Geduld! Geduld! Wenn's Herz auch bricht!
Mit Gott im Himmel hadre nicht!
Des Leibes bist du ledig;
Gott sei der Seele gnädig!«
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